Es ist dunkel und stickig. Eng zusammengekuschelt liege ich mit meiner Mama und meinen Geschwisterchen in einer durchsichtigen Box mit etwas Streu. Unser Atem schlägt sich an den Wänden wieder und unser Streu ist deshalb feucht. Wir haben keine Möglichkeit, zu laufen, tollen und spielen, denn nach nur wenigen Schritten ist der Platz zu Ende. Ich stolpere öfter über den Futternapf, der nur wenig gefüllt ist, und habe Durst, aber meine kleine Schwester hat mal wieder Streu in die Tränke gebuddelt. Jetzt haben wir nichts mehr zu trinken und die Nacht hat gerade erst begonnen. Wir wollen laufen, tollen, spielen und treten uns dabei nur gegenseitig auf die Pfötchen. Deshalb gibt es oft Ärger und so langsam fangen wir auch an, uns vor lauter Wut zu beißen. Ich hoffe, die Nacht ist schnell vorbei und wir bekommen schnell frisches Wasser. Ich kuschle mich wieder in den großen Fellhaufen und hoffe, dass morgen alles besser wird. Ich bin sehr, sehr traurig.
Am nächsten Tag greift mich plötzlich eine große Hand und reißt mich dadurch aus dem Schlaf. Die Hand setzt mich in eine größere, grell beleuchtete Box mit mehr Streu, einem Unterschlupf, etwas Futter und einer Tränke, an deren Ende ich Wasser bekomme, wenn ich mit meiner Zunge dagegen stupse. Vorsichtig inspiziere ich den Raum. Er ist etwas größer als der alte, doch auch hier werden wir uns sicherlich bald wieder wegen Platzmangel in die Haare kriegen. Ich blicke nach oben und warte auf Mama und meine Geschwister, aber keiner kommt. Stattdessen schließt sich die Luke und die Hand verschwindet. Auf einmal sehe ich viele große Schatten an meinem Fenster vorbeihuschen, andere Hände, die ans Glas fassen und klopfen, so laut, dass es mir in den Ohren schmerzt und ich mich vor Schreck sofort verkrieche. Soviel Licht, so viele Geräusche und große Gestalten. Ich buddle mir ganz viel Streu vor den Unterschlupf und versuche so, in der Dunkelheit zu schlafen. Ich bin allein und habe große, große Angst.
Keine Ahnung, wie lange ich geschlafen habe. Auf einmal wird mein Unterschlupf angehoben und erneut werde ich aufgeweckt. Das Licht ist noch immer grell, es blendet mich, so dass ich erstmal die Augen zusammenkneifen muss. Warum darf ich denn nicht in Ruhe schlafen? Noch bevor ich sehe, was passiert , greift mich erneut eine Hand. Es wird entsetzlich laut, viele Stimmen surren um mich herum und ich weiß nicht, was nun geschieht.
Als nächstes werde ich in kleinere Hände gesetzt, die mich ziemlich grob anpacken. Ich versuche, zu entkommen, doch die Hände drücken so fest zu, dass ich nicht weg kann. Sie tun mir weh. Eine quietschend hohe Stimme bohrt sich in meine Ohren und sogleich stopfen mich die kleinen Hände in eine karge, dunkle Schachtel, die komisch riecht. Wenigstens bekomme ich noch etwas von meinem Streu, das vertraut riecht.
Wieder eine enge Box, diesmal mit kleinen Löchern rundherum. Es wackelt furchtbar, ich kann mich nirgends festhalten und versuche, meine Nase durch eins der Löcher zu stecken, um etwas frische Luft zu bekommen. Ich werde hin und her geschüttelt, höre hundert fremde Geräusche, ein dumpfes Knallen, ein schreckliches Brummen und werde weiterhin durchgerüttelt. Ein kleiner Mensch versucht dauernd, mit seinen riesigen Augen in meine Box zu gucken, und schubst so ständig meine Nase zurück. Was geschieht jetzt, wo komme ich hin? Ich kauere mich zitternd in eine Ecke der Box und hoffe, dass alles gut wird.
Nach einiger Zeit, viel Gewackel und lautem Getöse wird meine Box abgestellt und geöffnet. Ich habe Angst, raus zu gehen, aber es kann sicher nicht schlimmer sein als hier drin. Also stecke ich vorsichtig meine Nase aus der Box und versuche, mit meinen Tasthaaren die neue Umgebung zu erkennen. Erneut lautes Quietschen und Jauchzen, plötzlich wird der hintere Teil der Schachtel ruckartig angehoben und ich falle kopfüber ohne Halt in die neue, mir unbekannte Umgebung.
Ich habe keine Ahnung, ob hier Gefahren auf mich lauern und suche in Windeseile Zuflucht in einem Plastikgebilde, das mit einer merkwürdig weichen Substanz gefüllt ist. Ich mag sie nicht, sie zieht überall Flusen und Fäden an meinen Krallen, und durch meinen Atem, der sich an den Wänden niederschlägt – ich hatte so auf Besseres gehofft – wird auch sie schnell klamm. Doch das ist mir jetzt egal, ich will nur noch meine Ruhe, will mich ausruhen und erholen von den Strapazen. Bitte lasst mich wenigstens jetzt etwas schlafen. Vielleicht schaut dann alles ja ganz anders aus. Ich rolle mich ein und bin sehr, sehr müde.
Tatsächlich erwache ich von selbst, nachdem ich ausgeschlafen habe. Vielleicht habe ich diesmal ja Glück. Vorsichtig wage ich mich aus meiner Behausung. Erneut finde ich einen Futternapf mit Futter, von dem ich leider lediglich die Sonnenblumenkerne und den Mais essen kann, das andere Zeug schmeckt furchtbar. Mehr gibt es leider nicht. Auch gibt es wieder eine Nippeltränke, doch die Kugel ist so schwer, dass ich alle Kraft brauche, um sie mit meiner Zunge zu bewegen. Nur sehr mühsam schaffe ich es, meinen riesigen Durst zu löschen. Neben der Tränke hängt ein Stein. Ich schlecke vorsichtig daran und muss gleich wieder trinken, so salzig schmeckt der. Ich verstehe nicht, wozu das gut sein soll, ich trinke doch auch so.
Eine Runde durch das neue Heim verschafft mir einen ersten Eindruck. Das Streu bedeckt gerade den Boden, es ist nicht einmal genug zum buddeln. Über mir sind viele Gitter. An einem dieser Gitter hängt ein Rad. Neugierig hüpfe ich hinein und fange an, zum ersten Mal zu radeln. Nach kurzer Zeit habe ich Rückenschmerzen, weil ich meinen Rücken zum Laufen so furchtbar durchbiegen muss. Aber endlich habe ich wenigstens etwas Bewegung, also ignoriere ich die Schmerzen und laufe, laufe, laufe.
Auf einmal geht ein grelles Licht an und der kleine Mensch reißt mich aus dem Rad. Ich erschrecke mich so schlimm, dass ich aus Reflex beiße. Der kleine Mensch schreit, lässt mich fallen und ich lande mitten im Napf. Die großen Menschen kommen herbei, der kleine Mensch weint und zeigt auf mich. Ich stehe am Gitter und möchte ihnen sagen, dass das keine Absicht war, es war ein Unfall. Sie verstehen mich nicht.
Stattdessen schlagen sie einmal so heftig gegen das Gitter, dass der ganze Käfig vibriert. Schnell sause ich ins Häuschen zurück und verstecke mich, bevor sie auf die Idee kommen, mich erneut herauszunehmen. Doch nichts passiert. Sie lassen mich in Ruhe. Zitternd kauere mich wieder zusammen und bin sehr, sehr verwirrt.
Lange Nächte verbringe ich in meinem nicht sehr großen Käfig, der spärlich eingerichtet ist. Wasser und Futter bekomme ich nur, wenn der kleine Mensch dran denkt, und auch sonst scheint er sich nicht mehr mit mir abgeben zu wollen. Meine Klo-Ecke stinkt mittlerweile so sehr, dass ich gar nicht mehr drauf gehen möchte, aber ich will einfach nicht in mein Bett machen. Das einzige, was mir etwas Trost gibt, ist mein Rad, auch wenn ich mich vor Schmerzen im Rücken kaum mehr bewegen kann. Ich laufe, laufe, laufe wie der Wind und hoffe, dass es mich irgendwann an einen besseren Ort tragen wird.
Eines Tages, die einsamen Nächte kann ich schon nicht mehr zählen, höre ich eine Stimme, die ich nicht kenne. Sie ist warm, ruhig und freundlich, sie quietscht und brüllt nicht. Neugierig komme ich aus meinem Haus heraus. Eine große Hand fasst langsam in meinen Käfig, und ich schrecke aus Gewohnheit zurück, denn ich weiß nicht, ob ich ihr trauen kann. Doch die Hand legt sich auf den Boden und macht nichts. Langsam nähere ich mich der Hand. Sie riecht ganz anders. Bedacht setze ich meine Pfötchen auf sie. Sie hält immer noch still. Ich klettere ganz rauf. Vielleicht will diese Hand ja mit mir spielen? Ganz vorsichtig legt sich ein Daumen auf meinen Rücken und die anderen Finger schließen sich ebenfalls. Ich lasse es geschehen, denn die Hand macht das vorsichtig und ich habe das Gefühl, sie möchte mir nicht weh tun. Weiterhin höre ich diese ruhige Stimme. Ich sehe das Gesicht eines fremden Menschen. In diesem Gesicht sehe ich zum ersten Mal keine Wut oder Gleichgültigkeit, sondern spüre freundliche Zuneigung. Ich lasse mich ohne Gegenwehr in eine große Box mit vielen Luftschlitzen und einem grünen, faserigen Boden setzen, der ganz toll nach Freiheit und Natur duftet und in den ich mich sofort einwühlen kann. Die Box fängt an zu wackeln, ich werde wohl erneut umziehen. Ich kuschel mich in das tolle Grün und bin sehr, sehr aufgeregt.
Draußen ist es kalt und weißes Zeug kommt von oben. Seitdem ich zu etwas kam, das sich Nagerschutz nennt, ist einige Zeit vergangen. Ich habe nach so vielen Umzügen, einsamen Nächten in einem zu kleinen Laufrad und viel zu wenig Abwechslung offenbar endlich Glück gehabt. Mein neues Gehege ist riesig und hat sogar zwei Ebenen. Mein Streu ist so hoch, dass ich mich darin einbuddeln kann, mein Laufrad ist so groß, dass ich meinen Rücken nicht mehr verbiegen muss und mein Futter und Wasser wird jeden Tag frisch aufgefüllt. Es schmeckt super und täglich bekomme ich zusätzlich leckere saftige Sachen, die die Menschenfrau aus einem Zimmer bringt, aus dem es immer gut nach Essen duftet. Ich habe sogar eine Schüssel mit Sand, in der ich mich nach Lust und Wonne suhlen kann, und ein eigenes Klo, das spätestens jeden zweiten Tag sauber gemacht wird. Mein Nestchen, das ich mir in einer Ecke selber gebaut habe, ist riesig und das Tollste, das ich jemals hatte, mit ganz viel Platz zum einkuscheln.
Und das Schönste – wenn ich an die Glasscheibe komme, die durch ihre Belüftungslöcher nicht beschlägt, kommt die Menschenfrau und redet und spielt mit mir. Sie nimmt mich vorsichtig auf die Hand, sie knuddelt mich sogar, manchmal etwas zu viel, aber ich lasse es zu, denn sie meint es gut. Dann setzt sie sich mit mir auf den Boden und lässt mich nach Lust und Laune durch die Gegend sausen. Es gibt so viel zu bestaunen, zu beschnüffeln und erobern, und trotzdem komme ich immer wieder zu ihr zurück, klettere auf ihren Schoß und lasse mich erneut von ihr knuddeln. Es ist wunderbar warm in meinem neuen Zuhause und ich muss mir keine Sorgen machen, ob ich die kalte Zeit überstehen werde. Ob meine Mama und meine Geschwister am Ende auch so ein Glück hatten? Hier ist es schöner, als ich es mir je hätte wünschen können.
Ich will meine Menschenfrau behalten und hoffe, nie mehr umziehen zu müssen.
Viele Dank Martina, für diese wunderschöne Geschichte! Hoffentlich inspiriert sie viele Menschen etwas mehr auf das Wohl und die Bedürfnisse ihrer Tiere zu achten.