Wenn man den Menschen untersuchen möchte, ist das naheliegendste, menschliche Zellen dafür zu benutzen. Das ist nicht immer einfach, denn diese können manchmal richtige kleine Mimosen sein. Und außerdem besteht so ein Organ ja auch nicht nur aus einem einzigen Gewebetyp. Was nun? Zum Glück sind die Wissenschaftler mal wieder kreativ geworden.
Heutzutage lassen sich viele Zelltypen von menschlichem Gewebe in der Petrischale anziehen, sofern man viel Arbeit, Hingabe und oft auch eine gehörige Portion Frust dafür aufwendet. Sie werden verwendet, um zum Beispiel die Reaktion von Hautzellen auf ein neues Kosmetikprodukt zu testen. Leider gefällt es den Zellen oft nicht in ihrer Glasschale und sie segnen schnell das Zeitliche, so dass der arme Forscher wieder von vorn beginnen muss. Außerdem bemängeln Kritiker, dass in der Arbeit mit Zellkulturen der Einfluss des Stoffwechsels nicht berücksichtigt wird. Denn wenn es sich bei der Testsubstanz um einen oral aufgenommenen Wirkstoff handelt, geht dieser schließlich durch den Magen, den Darm, den Blutkreislauf, etc., und auf diesem langen Weg können chemische Verbindungen die merkwürdigsten Dinge tun. Sei es dass sie sich abbauen, umwandeln, oder an überraschenden Stellen ansammeln.
Für Fragestellungen, bei denen genau das wichtig ist, gibt es nun einen ganz neuen Ansatz: Biochips. Das klingt nach High-Tech, und genau das ist es auch. In der sehr renommierten internationalen Fachzeitschrift ‚Nature‘ wurde ein Feature zu diesem Thema veröffentlicht, das die Funktionsweise dieser vielversprechenden Technologie beschreibt. Die Forscher bauen auf einem kleinen Kunststoff-Chip zunächst die äußeren Strukturen des Körpers nach – bei einer künstlichen Lunge zum Beispiel in Form von winzigen Kanälchen, die in den Chip eingraviert werden. Dort hinein werden anschließend die menschlichen Zellen eingebracht, die nun nicht mehr nur zweidimensional in einer Schale wachsen, sondern sich wie im Körper zu dreidimensionalen Strukturen anordnen können. Außerdem können die Forscher mehrere Gewebetypen auf den Chips kombinieren und sie durch die feinen Kanälchen mit Blut versorgen, so dass ein menschliches Organ viel realistischer abgebildet werden kann. Der ‚Lungen-Chip‘ hat außerdem noch zwei Vakuum-Kammern links und rechts, die die Atembewegung simulieren. Das ist wichtig, denn die Zellen werden durch das Dehnen und Zusammenziehen mechanisch belastet, und das hat wiederum Einfluss auf ihre physiologische Aktivität. So konnten die Forscher beobachten, dass kleine Schmutzteilchen, die sie auf den Chip eingebracht hatten, mit der Atembewegung viel schneller in die Blutbahn gingen. Tests, bei denen es um giftige Substanzen in der Luft geht, müssen dies also unbedingt berücksichtigen.
Mittlerweile gibt es aber nicht nur einzelne Organe auf dem Chip, sondern sogar Mini-Stoffwechsel-Systeme. Dabei enthält der Biochip mehrere Kammern, die jeweils mit Zellen verschiedener Organe bestückt werden (zum Beispiel Leber, Darm und Tumorzellen, wenn es um die Verträglichkeit von Medikamenten gegen Krebs gehen soll). Über die winzigen Kanäle auf dem Chip sind sie miteinander verbunden und werden von Blut durchströmt. Anschließend kann man beobachten, wie sich die Testsubstanz verhält und ob sie die Leber schädigt.
Die Möglichkeiten für den Einsatz von Biochips sind vielfältig und ihre Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Durch das standardisierte Verfahren gibt es weniger Varianz in den Ergebnissen; einmal weil das Handling stärker automatisiert ist und zweitens weil es keine Mäuse mehr gibt, die sich von Tier zu Tier doch immer ein bisschen unterscheiden. Dadurch wird die statistische Auswertung der Experimente solider. Außerdem sind Biochips schneller und kostengünstiger als die herkömmlichen Tiermodelle und sie arbeiten mit menschlichem Material, wodurch wir das gestern angesprochene Problem mit der Übertragbarkeit von Ergebnissen elegant umgehen könnten.
Mittlerweile werden einige Biochips bereits kommerziell hergestellt, aber trotzdem stehen die Entwickler noch vor vielen Hürden. Manche Zelltypen lassen sich bislang kaum in Kultur ziehen und auch der künstliche Blutkreislauf sollte noch verbessert werden, um die unterschiedliche Art der Blutzirkulation durch jedes Organ realistischer abzubilden. Außerdem muss man sicherstellen, dass die Testsubstanz nicht womöglich mit dem Chip-Material selbst reagiert oder von diesem aufgenommen wird.
Dennoch: Biochips haben großes Potenzial und bei den noch offenen Punkten sei auf die Kreativität und den Fleiß unserer Wissenschaftler vertraut. Auch so liefern die Chips schon interessante Ergebnisse. Ein neuartiger ‚Leber-Chip‘ konnte zum Beispiel zeigen, dass das Hepatitis B-Therapeutikum Fialuridine giftig und leberschädigend ist. Die Substanz war in den 90er Jahren auf Grund dessen in klinischen Tests durchgefallen. Der vorangegangene Tierversuch hatte damals keinen Hinweis auf eine toxische Wirkung geliefert.
Nächste Woche widmen wir uns einem ganz anderen Ansatz, nämlich der Vermeidung von unnötiger Arbeit überhaupt. Warum sich ins Labor stellen, wenn man auch den Computer fragen kann!
Quellen:
Ärzte gegen Tierversuche e.V.: Woran soll man denn sonst testen? Moderne Forschungsmethoden ohne Tierversuche. Pdf-Broschüre, per Email erhalten von den Ärzten gegen Tierversuchen e.V.
Baker, Monya (2011): A Living System on a Chip. Technology Feature, Nature, Vol. 471, 661-665.